Dienstag, 22. Juli 2008

Scientology

Kommentar - Eines vorab: Ich sympathisiere nicht mit Scientology, ich bin auch nicht Sympathisant oder gar Mitglied irgendeiner religiösen Gruppierung. Ich respektiere hingegen Religionen als Spielarten von Philosophie, also von Weltverständnis. Wenn jemand also ein religiöses Konstrukt braucht, um in seiner Welt zurecht zu kommen, dann ist das für mich in Ordnung. Religionen sind in fast allen Kulturen verankert, meist folgen die Religionen den kulturellen Besonderheiten eines Volkes. Für mich völlig inakzeptabel sind aber Äußerungen, die die Religionen (oder auch Weltanschauungen) herabwürdigen. Wenn Christen an die "unbefleckte Empfängnis" glauben wollen, bitte sehr. Wenn jemandem ein Erzengel erschienen sein soll, bitte sehr. Wenn jemand an die Infiltration durch Außerirdische glaubt, bitte sehr. Wenn jemand an Demiurgen und Schöpfer glaubt, bitte sehr. Wenn jemand an Spaghetti-Monster glaubt, bitte sehr. Wenn es auch nur einen Menschen glücklich macht, ist jede Religion recht und billig.

Natürlich gibt es "Konkurrenz" unter den Religionen, natürlich versuchen sie sich gegenseitig madig zu machen, es wurden blutige Kriege geführt.

Natürlich könnte man nun meinen, im 21. Jahrhundert sollten diese Feindseligkeiten beendet sein, das Zusammenleben der Völker in einer globalisierten Welt wäre einfacher, durch Medien und Kulturaustausch lernen sich die Völker kennen, kulturelle Unterschiede seien akzeptiert usw. Auf den ersten Blick ist das so. Filmemacherin Doris Dörrie ist bekennende Buddhistin, Deutsche konvertieren zum Islam, Chinesen zum Christentum, es gibt gemischte Ehen. Auf den zweiten Blick sieht das ganz anders aus. Da wird ausgerechnet der Moscheebau einer der gemäßigsten Islam-Gemeinden in Deutschland durch Rechte instrumentalisiert, Bürger werden falsch informiert. Diese Ahmadiyya-Gemeinde ist übrigens die Gemeinde, die seinerzeit (1959) als erste Moslem-Gemeinde nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland eine Moschee gebaut hat (in Hamburg). Lassen wir das damalige Interesse der Öffentlichkeit auf uns wirken (Quelle: Wikipedia):

Der Grundstein zum Bau der Moschee wurde am 22. Februar 1957 gelegt. Viele Prominente und Politiker waren samt der Hamburger Presse bei der Grundsteinlegung anwesend. Auch viele Hamburger waren an der Finanzierung der Moschee durch großzügige Spenden beteiligt. Kreditinstitute wie die Deutsche Bank, die Dresdner Bank und die Vereinsbank spendeten jeweils 500,- DM. Am 22. Juni 1957 wurde die Fazle-Omar Moschee unter der Leitung eines berühmten Mitglieds der AMJ, Sir Muhammad Zafrullah Khan, eröffnet. An der Eröffnungsfeier nahmen ebenfalls diverse Prominente und Politiker teil, unter ihnen die Botschafter der Länder Pakistan, Indien und Niederlande. Weiterhin waren Professoren der Universität Hamburg und der Bezirksamtsleiter Stellingen/Eimsbüttel anwesend.

Klingt irgendwie anders als die heutigen Proteste.

Aber das sei heute nicht mein Thema, Fremdenfeindlichkeit in Deutschland hat lange Tradition. Da nimmt es auch nicht Wunder, dass fremdartige Religionen heute argwöhnisch beäugt werden. Schon im Dritten Reich wurden die "Bibelforscher" in Konzentrationslager gesteckt.

Konzentrationslager gibt es heute nicht mehr (Abschiebegefängnisse möchte ich an dieser Stelle einemal nicht dazu zählen), aber die Praxis ist geblieben.

Ist eine Kirche nicht den großen Religionen zugehörig, wird sie zur "Sekte" gemacht. Dieser an sich wertfreie Begriff wird in den aktuellen Medien eindeutig negativ belegt, da gibt es "Sektenbeauftragte" neben den Drogenbeauftragten usw.

Aber zum Punkt: Heute abend um 22.00 Uhr gibt es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, genauer auf der rbb-Welle "Fritz" (Frequenzen und Livestream unter fritz.de) eine Hörertalkrunde zum Thema "Scientology", eigentlich einmal Wissenschaftskirche genannt. In der Ankündigung an diese Sendung (im Internet wie auch im laufenden Tagesprogramm) wird die übliche Panikmache betrieben: Angst, gefährliche Psycho-Sekte usw. Das liegt voll auf der offiziellen Regierungslinie, die nicht nur Extremisten aus dem linken und rechten Lager durch den VS beobachten lässt, sondern eben auch eine Kirche, die Wissenschaftskirche. Im offiziellen Sprachgebrauch Scientology genannt, damit man weiß, woher das Böse kommt.

Wir Deutschen rühmen uns, eine funktionierende Demokratie zu haben. Dummerweise ist der Staat aber so eng mit der Kirche verzahnt, dass von einer echten Demokratie keine Rede sein kann. In allen Bundesländern, angeführt von den Bayern und Baden-Württembergern, wird immer wieder auf die christlich-abendländische Tradition Deutschlands hingewiesen. Die Lebenswirklichkeit sieht doch aber anders aus. Und ich meine nicht die eingewanderten Nicht-Christen. Ich meine vor allem Deutsche, die aus Überzeugung und Glauben heraus bewusst nicht den staatlich geförderten christlichen Kirchen angehören, sondern in anderen Religionen, meinetwegen auch Sekten oder aber in Agnostizismus oder Atheismus ihren Seelenfrieden suchen und finden. Nun sollte man aber meinen, in unserer funktionierenden Demokratie mit der laut Verfassung garantierten Religions- und Meinungsfreiheit stelle dies kein Problem dar, sieht sich getäuscht. Sind Eingewanderte Moslems oder christlich-orthodox, dann wird ein Integrationsproblem diagnostiziert. Eine fremde Kultur so zu akzeptieren, wie sie ist, kommt den Behörden nicht in den Sinn.

Anders bei Anhängern von kleinen Kirchen, die an keinem bestimmten Kulturkreis festgemacht werden können. Die Kirchenfürsten der Staatskirche sehen ihre Pfründe schwinden, wenn jemand einer anderen Kirche als der offiziellen Staatskirche angehört, deshalb kommt jetzt die Diffamierungskeule heraus: Diese Sekten sind allesamt böse, seien es die Siebenten-Tags-Adventisten, die Kirche der Heiligen der Letzten Tage, seien es die Anhänger der Wissenschaftskirche und und und. Religionsfreiheit sieht anders aus.

Was die für heute abend angekündigte Radiosendung bei Fritz betrifft: Man hat sich einen Gast eingeladen, der zum Scientology-Thema reden wird: Dr. Michael Utsch von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. Wenn ich nicht irre, sollten die öffentlich-rechtlichen Sender neutral sein. Dieser Protestant ist gegenüber Scientology in etwa so neutral wie der Vorsitzende der Linkspartei zur NPD.

Obacht, Deutschland!

Apropos: Was die christlichen Kirchenfürsten und ihre staatlichen Handlanger vergessen: Jesus war mosaischen Glaubens und hatte seinerzeit eine kleine Sekte gegründet, die damals auch von der offiziellen Staatskirche (Hohepriester) und der Staatsgewalt (römische Besatzungsmacht) verfolgt wurde...


Andreas Mascher

Redaktion Sprachrohr

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