Dortmund. Der allgemein unbekannte und deshalb auf spektakuläre Aktionen angewiesene Verein Deutsche Sprache e.V. (VDS) des Statistikprofessors Walter Krämer hat "wieder einmal" die Deutsche Bahn abgestraft, die "sich von der deutschen Sprache verabschiedet" habe. Da es aber beim VDS Sitte ist, nicht Körperschaften, sondern Personen zu verunglimpfen, ist also der derzeitige Vorstandsvorsitzende Hartmut Mehdorn der "Begünstigte". Nun sind wir uns alle darüber einig, dass wir manchmal zu viele Anglizismen verwenden. Einig sind wir uns auch, dass wir etwas dagegen tun müssen. Ich persönlich war immerhin selbst Vollmitglied im VDS und bin immer noch Wortpate zweier wunderbarer deutscher Worte. Das war und ist mir wichtig.
Aber was gewinnen wir, wenn wir anfangen, Menschen an den Pranger zu stellen?
Jil Sander hat einmal in einem live ausgestrahlten Interview in freier Rede relativ (nein - fast nur) Anglizismen verwendet, größtenteils fachspezifische. Als in der ganzen Welt aktive Modeschöpferin denkt sie wahrscheinlich in solchen Begriffen. Der VDS gießt in allerschönster Boulevard-Manier den ganzen Kübel seiner Verachtung über sie und kürt sie zum "Sprachhunzer" des Jahres 1997. Aber zurück zu Hartmut Mehdorn, dem diesjährigen Preisträger. In der Laudatio heißt es: "Die weltweit über 30.000 Mitglieder des Vereins Deutsche Sprache e.V. haben Hartmut Mehdorn, den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG, zum Sprachpanscher des Jahres 2007 gewählt. Nach Johannes Ludewig ist Mehdorn damit bereits der zweite Bahn-Chef, dem diese zweifelhafte Ehre zuteil geworden ist. 'Leider hat die Deutsche Bahn aus diesem ersten Preis nicht viel gelernt' kommentierte Vereinsvorsitzender Krämer das Ergebnis dieser Wahl. 'Noch immer gibt es an deutschen Bahnhöfen counter statt Schalter, einen service-point statt einer Auskunft und zum Pinkeln muß man zu McClean'." Counter? An keinem Fahrkartenschalter steht "Counter"! Nur in internen Publikationen der für das Markendesign verantwortlichen Abteilung gibt es "Counter". Und in einem Faltblatt für das bahn.comfort-Angebot habe ich auch mal dergleichen gelesen. Ich weiß also nicht, woher Krämer bei der Bahn einen "Counter" gesehen haben will. Da er die Bahn ja so zu hassen scheint, wird er sich ja wohl nicht entblöden, mit ihr zu fahren, und dann noch ausgerechnet in der 1. Klasse! DB Service Point? Richtig, die heißen so. Aber die allermeisten Reisenden wissen damit etwas anzufangen (Krämer und Konsorten ausgenommen, die stellen sich absichtlich dumm). Und unter besagtem Johannes Ludewig gab es die DB Service Points noch nicht. Hier wird durch Krämer Kontinuität suggeriert. Und McClean?!? Jetzt hat Krämer den Vogel abgeschossen. Nicht etwa die WC-Center werden bemängelt. Nein, jetzt ist Hartmut Mehdorn persönlich dafür haftbar zu machen, dass die Schweizer Firma, die die Bahnhofstoiletten bewirtschaftet, "McClean" heißt. Und nächstes Jahr bekommt Hartmut Mehdorn noch einmal den Preis, weil die Bahnhofsrestaurants "McDonald's" heißen. In der Laudatio wird es heißen: "... und zum Essen muß man zu McDonald's". Fassen wir also zusammen: Das "Urteil" wird mit drei Anglizismen begründet. Einer taucht so gut wie nie auf, einer ist berechtigt (wenn man Anglizismen für das Böse in der Welt hält), einer ist ein Eigenname. Klasse gemacht! Bei so viel Inkompetenz, Uninformiertheit und Subjektivität stellt sich der Verein des notorischen Cholerikers Krämer selbst ins Abseits1). Ich persönlich bin froh, dass ich meine sprachpflegerischen Aktivitäten nicht mehr unter den erdrückenden "Fittichen" des VDS entfalte, sondern in einem der anderen "Penner-Vereine" (O-Ton Krämer). Der VDS ist nicht mehr ernst zu nehmen.
1) Nein, tut er nicht. Da ist er schon.